Update: die atomare Ebene des russischen Angriffs auf die Ukraine

Am 6. Mai kündigte Putin atomare Übungen an der ukrainischen Grenze an – fast gleichzeitig mit seiner fünften Verteidigung als russischer Präsident und über zwei Jahren Krieg in der Ukraine. Die Übungen halten uns vor Augen, dass die Drohung mit Atomwaffen eine zentrale Taktik des russischen Angriffs darstellt und ein langlebiger Frieden nur durch nukleare Abrüstung entstehen kann. 

„Taktische“ Atomwaffen sind bei weitem nicht harmlos – sie können bis zu 20 Mal zerstörerischer sein als die Bombe, die die USA auf Hiroshima abgeworfen haben. Damit sollen die russischen Atomübungen Militärpersonal darauf trainieren, innerhalb von Sekunden Massenmorde an Zivilisten zu begehen.

Mit den Übungen wolle Russland die „Hitzköpfe in den westlichen Hauptstädten“ abkühlen, so der Kreml. Und die atomaren Drohgebärden wurden wahrgenommen. So meldeten sich einige europäische Politiker*innen zu Wort. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte und warnte, „dass in diesem Krieg nukleare Waffen nicht eingesetzt werden dürfen“.

Klar bleibt jedoch, dass Atomwaffen im russischen Angriffskrieg eine zentrale Rolle spielen. Putin nutzt atomare Erpressung für seinen Angriff auf die Ukraine und will die Abschreckung als Teil seiner Taktik auch weiter aufrechterhalten. 

Die eskalierende nukleare Gefahr

Nach den expliziten Drohungen von Wladimir Putin, Atomwaffen einzusetzen, haben wir in den letzten zwei Jahren gesehen, wie nuklear bewaffnete Staaten und ihre Verbündeten das jahrzehntelange nukleare Tabu weiter untergraben haben. Die Eskalation der nuklearen Rhetorik wurde nicht nur in Russland beobachtet (Medwedew hat erst am letzten Wochenende explizite Drohungen gemacht), sondern auch in Israel und Nordkorea sowie in jüngsten Forderungen von polnischen und deutschen Politikern und NATO-Führern nach einer europäischen Atomwaffe. Nukleare Bedrohungen erhöhen die Spannungen in einer bereits gefährlichen Umgebung, senken die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen und erhöhen erheblich das Risiko eines nuklearen Konflikts und einer globalen Katastrophe.

Die glaubhafte Drohung mit Atomwaffen ist ein integraler Bestandteil der nuklearen Abschreckung. Alle Atomwaffenstaaten üben regelmäßig Einsatzszenarien mit Atomwaffen, modernisieren ihre Arsenale und entwickeln die politischen Rahmenbedingungen, um Atomwaffen als glaubhaftes Mittel der Außenpolitik zu stärken. Die jüngsten russischen Drohungen wie auch die jährlichen Steadfast Noon-Übungen der NATO oder die Nordkoreanischen Raketentests sollen genau diesen Zweck erfüllen. . 

Ein nüchterner Blick auf diese Entwicklungen zeigt, dass Atomwaffen als Instrument der Einschüchterung und Erpressung funktionieren, nicht als Stabilisierungsfaktoren. Solange Atomwaffen als legitimes Mittel der Außenpolitik gelten, existiert auch die Gefahr, dass Putin oder Kim Jong Un diese Waffen auch einsetzen. Drohungen mit Atomwaffen sollten daher konsequent und kategorisch verurteilt werden, um die Waffen und deren Besitzer Staaten zu stigmatisieren.  

Delegitimation nuklearer Drohungen funktioniert 

Um jedoch glaubhaft nukleare Drohungen zu verurteilen, ist der Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) nötig. Der AVV ist der einzige multilaterale Vertrag, der Atomwaffen verbietet und einen konkreten Fahrplan hin zu einer Welt ohne Atomwaffen bereit hält. Wenn wir Atomwaffen delegitimieren wollen, müssen wir dafür sorgen, dass alle Staaten dem AVV beitreten.

Solange es Atomwaffen gibt und die Atomwaffenstaaten sowie ihre Verbündeten das Prinzip der nuklearen Abschreckung legitimieren, bleibt die Lage ernst. Denn wenn es Atomwaffen gibt, können diese auch eingesetzt werden. Dass es bei Abschreckung bleibt, ist dabei nie sicher. Was jetzt gebraucht wird, ist Deeskalation. Alle Staaten müssen Russland dazu aufrufen, die Übungen zu stoppen.