Abrüstungsarbeit ist Bildungsarbeit

von Juliane Hauschulz

Ich bin vor etwa fünf Jahren zu ICAN gekommen. Ich war mit einer Delegation der DFG-VK bei einer Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags und als Vorbereitung dafür besuchten wir ein Lobbytraining mit Xanthe Hall und Anne Balzer von ICAN Deutschland. Später wollte ich mit einer Freundin an meiner Universität eine ICAN-Hochschulgruppe gründen und Anne unterstützte uns dabei, ein Seminarprogramm auf die Beine zu stellen. Die Gründung verlor sich leider in Corona, aber über die Webinare, die in dieser Zeit stattfanden, blieb ich nicht nur am Thema, sondern auch dem Verein verbunden. Schließlich besuchte ich im April 2022 eine Nukipedia, heute bin ich im Vorstand. Was mich begeistert und dabei gehalten hat: die Bildungsarbeit!

So wie mir geht es auch vielen anderen: Wir sind über die Bildungsarbeit zu ICAN gekommen und damit gute Beispiele, warum dieser trockene Satz aus unserer Satzung so wichtig ist: „Zweck und Aufgaben des Vereins […] sind […] die Öffentlichkeit über die humanitären Folgen von Atomwaffen, Abrüstung und Frieden aufzuklären.“

Die erste Nukipedia im Frühjahr 2017

Wir leisten diese Aufklärungsarbeit gerne! Das wichtigste Projekt der Bildungsarbeit ist die halbjährlich stattfindende Nukipedia. Seit 2017 gibt es dieses Seminar für junge Menschen, die sich ganz neu mit Atomwaffen auseinandersetzen oder ihr Wissen vertiefen wollen. Es sind immer zwei bis drei Tage mit Vorträgen zu den physikalischen, medizinischen und politischen Grundlagen sowie spezialisierten Aspekten wie feministische oder post-koloniale Perspektiven, Umweltfragen, Lobbyarbeit usw. Auf diese Weise wird es nie langweilig und auch der zweite oder zehnte Besuch einer Nukipedia bringt neue Erkenntnisse und spannende Diskussionen. Jahrelang hat Anne Balzer diese Seminare organisiert, 2023 übernahm ich das dann relativ spontan und freue mich mittlerweile schon auf meine fünfte Nukipedia diesen November. Dieses Mal mit dem Themenschwerpunkt Klima. Kommt gerne dazu!

Bildungsarbeit ist ein wichtiger Pfeiler der Vereinsarbeit

Weil dieses Seminarangebot so gut angenommen wurde und wird, blieb es nicht bei den halbjährigen Nukipedias. So wie ich ein Seminarangebot an meiner Universität geplant habe, gab es schon 2018 ein Blockseminar an der Universität Hamburg, später auch in anderen Städten wie Freiburg, Hannover oder Mainz. Anna und Giulia leiteten einen Workshop auf dem Gender Innovation Camp der Friedrich-Ebert-Stiftung und trugen die Themen, die uns bei ICAN beschäftigen, in neue Räume. Und auch für einzelne Vorträge und Vorlesungen fragen gerade Universitäten bis heute an. So gab es ICAN-Vorlesungen u.a. an der TU Berlin in der Reihe „Arms and Development“ und in Bonn in der Reihe von „Model United Nations“ – immer von unseren aktiven Mitgliedern gehalten.

Ohnehin sind die Aktiven Mitglieder das Wichtigste bei der Bildungsarbeit. Ohne euch wäre ICAN nie so präsent gewesen und ohne euch können wir das auch in Zukunft nicht. Natürlich gibt es immer wieder dieses Gefühl, nicht genug gelesen zu haben, nicht auf dem neuesten Stand zu sein, nicht ausreichend Bescheid zu wissen. Deshalb könnt ihr immer auf die Unterstützung aus dem Büro und dem Vorstand bauen: wenn ihr Zweifel habt, dann wird immer gerne geholfen! Ohne Anne und ihre Tipps hätten meine Freundin und ich sehr schnell aufgegeben mit unserer Hochschulgruppe. Zudem gab es immer wieder interne Bildungsarbeit, also Angebote für die Mitglieder zu Campaigning, Präsentationen, Reden usw. Denn eine Kampagne lebt von den Menschen, die sie weitertragen.

ICAN Nukipedia im Herbst 2023

Und ihr seid aktiv: Kunstausstellungen, Filmvorführungen, Vorträge, Infostände, Kraniche basteln und dabei über nukleare Abrüstung reden – es gibt viele Möglichkeiten, Leute zu erreichen und aufzuklären. Aber was ist dann Öffentlichkeits- und was Bildungsarbeit? Zwar überschneiden sich die Bereiche, allerdings gelten für die Bildungsarbeit strengere Vorgaben. ICAN ist eine Kampagne mit einem klaren Ziel: die Abschaffung aller Atomwaffen. Auf dem Weg dahin halten wir uns aber gerade in der Bildungsarbeit an pädagogische Grundsätze. Die Nukipedias und andere ICAN Seminare stellen unterschiedliche Perspektiven vor, es wird Raum zum Nachdenken und Reflektieren geschaffen, Erkenntnisse werden nicht vorgegeben, sondern von den Teilnehmenden selbst erarbeitet. Nicht alle kommen als glühende Vertreter*innen eines Atomwaffenverbots aus den Seminaren, aber auf jeden Fall mit einem vollständigeren Blick auf das komplexe Feld der Atomwaffen, deren Auswirkungen und deren Abrüstung. Die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und auch widersprechen zu können, ist unglaublich wichtig, egal in welchem Alter die Teilnehmenden sind. Nicht ohne Grund gibt es den berühmten Beutelsbacher Konsens für politische Bildung. Diesen berücksichtigen wir und ohne diese Einstellung wären insbesondere Workshops an Schulen nicht möglich gewesen. Denn auch hier waren und sind ICAN Mitglieder immer wieder aktiv.

ICAN Bildungsreise nach Kasachstan im Mai 2024 in Zusammenarbeit mit der kasachischen Jugendorganisation STOP und der Friedrich Ebert Stiftung Kasachstan

Zum Abschluss bleiben mir noch zwei Aspekte: die ICAN Bildungsreisen und unsere Publikationen. Erstere überlasse ich mit bestem Gewissen Janina Rüther, die in einem späteren Beitrag über unsere Reise nach Kasachstan erzählt (bei der ICAN Reise nach Brüssel 2019 war ich leider nicht dabei). Also fehlen nur die ICAN Publikationen, die von Broschüren zu bestimmten Aspekten im Themenfeld Atomwaffen und nukleare Abrüstung über Hintergrundpapiere bis hin zu Briefings reichen. Wer sich selbst weiterbilden möchte findet hier auf jeden Fall eine passende Lektüre – danach geht es direkt noch selbstbewusster in den nächsten Vortrag!

Die Bildungsarbeit von ICAN ist also nicht nur ein langweiliger Satz in der Vereinssatzung. Sie füllt unsere Ziele mit Leben, mit ihr tragen wir unsere Kampagne weiter und erreichen immer mehr Menschen. Die Wirkung sieht man nicht immer direkt. Nicht alle Teilnehmer*innen einer Nukipedia treten danach dem Verein bei, nicht alle Studierenden in einer Gastvorlesung gründen danach eine Hochschulgruppe. Aber alle nehmen ein Stück Erkenntnis daraus mit und einige kommen wieder und manche sitzen Jahre später plötzlich im Vorstand und schreiben einen Artikel für den 10-Jahre-ICAN Blog.

Juliane Hauschulz ist Geschäftsführender Vorstand von ICAN Deutschland. Hauptamtlich ist sie für die ICAN-Partnerorganisation IPPNW e.V. tätig.

 

Zu den anderen Blogbeiträgen