ICAN – Eine Kampagne von Partnerorganisationen

von: Roland Blach

Seit 1995 bin ich hauptamtlich in der Friedensbewegung aktiv. Das Thema atomare Abrüstung war für mich immer einer der Schwerpunkte – in Kampagnen und Projekten. In Einzelorganisationen wie der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen, die den Standort Büchel öffentlich bekannt gemacht hatte, der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) sowie im Netzwerk des 1994 gegründeten Trägerkreises „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen“. Mit meiner 1994 beendeten Ausbildung zum Mediator war es mir immer wichtig, mich an Win Win-Lösungen zu orientieren und Menschen sowie Organisationen zusammen zu bringen, um daraus Stärke und Motivation zu gewinnen.

Der Trägerkreis hatte sich bereits 2004 bis 2006 den Auftrag gegeben, die vom damaligen Bürgermeister von Hiroshima Tadatoshi Akiba 2003 ins Leben gerufene Kampagne „2020 Vision“ zu unterstützen. Das Kampagnenziel war es, eine verbindliche Vereinbarung eines Zeitplans für die Abschaffung aller Atomwaffen und den Beschluss einer Nuklearwaffenkonvention durchzusetzen, um eine atomwaffenfreie Welt bis 2020 zu erreichen. Auf diese Weise begann sich das internationale Netzwerk stark auszuweiten. Wir verstärkten die Zusammenarbeit mit den Mayors for Peace – dabei insbesondere mit der Stadt Hannover als Partnerstadt Hiroshimas. Der Trägerkreis war über Xanthe Hall (IPPNW) jahrelang für die deutsche Webseite verantwortlich. Es wuchsen enge Beziehungen zu den Oberbürgermeister*innen und deren Mitarbeiter*innen – bis heute.

Das Jahr 2003 war damit auch Ausganspunkt für die unglaubliche Entwicklung des Städtenetzwerks von 1.000 Städten (davon gut 100 in Deutschland) auf fast 9.000 Städte (davon gut 900 in Deutschland) im Jahr 2024.

Der Trägerkreis wurde im Rahmen der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ nach 2012 Partnerorganisation von ICAN, noch bevor ICAN Deutschland sich gründete. Xanthe Hall, Wolfgang Schlupp-Hauck aus Mutlangen und ich waren die Ansprechpersonen für das Mayors for Peace Büro in Hannover. Diese Verbindungen waren Ausgangspunkt und initiierten zusammen mit der Landeshauptstadt Niedersachsens den Flaggentag 2011/2012.

Während ICAN Deutschland ihre Aufbauarbeit zwischen 2014 und 2017 festigte, der Trägerkreis seine Netzwerk- und Kampagnenarbeit weiterführte und erste weitere Organisationen in Deutschland ICAN Partner wurden, kam der unfassbare Moment des 6. Oktober 2017: die Vergabe des Nobelpreises an ICAN.

Xanthe Hall mit der Nobelpreismedaille.

Ich war völlig verwirrt an diesem Freitag, wusste nicht so recht was das mit mir und dem Trägerkreis zu tun hatte. Riesenfreude über diese Auszeichnung für meine Freundinnen und Freunde. Schlaflose Nächte. Xanthe schrieb mir am Sonntag auf meine Ratlosigkeit, dass wir doch alle im Trägerkreis als ICAN Partner Nobelpreisträger seien. Und genau so schrieben wir beide alle weit über 50 Mitglieder im Netzwerk an.

Es folgten die aufregendsten Monate meiner Friedensarbeit: zunächst ein Zeitungsinterview nach dem anderen. Die Gunst der Stunde bis zur Nobelpreisverleihung nutzten wir – der Trägerkreis, ICAN D und die IPNNW – um mit Unterstützung von weact gemeinsam eine Petition zum Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag zu starten. Aus mehreren Zehntausend Unterschriften in dieser Zeit wurden 2023 bei der Übergabe an das Auswärtige Amt 121.626! Im Nachhinein war dies der Startschuss des deutschen ICAN-Partnernetzwerks.

Am 10. November 2017 wurde ich nach einem langen Hintergrundgespräch mit der dpa zu Atomwaffen zu einem Strategiegespräch von ICAN D in eine Kneipe eingeladen. Was für eine Ehre war es damals, als Mitglied angefragt worden zu sein! Dankend nahm ich an!

Als Koordinator des Trägerkreises, delegiert von der DFG-VK als ICAN Partner und neues Mitglied von ICAN D habe ich mich motivieren lassen, vom 9.-11. Dezember 2017 in Oslo zu sein. Um zu planen, zu feiern und vor Freude zu weinen. Mit fast 300 Campaigner*innen aus der ganzen Welt, darunter ein gutes Dutzend aus Deutschland. Die Tagesthemen berichteten am Abend über die langjährige Arbeit der DFG-VK gegen Atomwaffen. Gänsehaut an vielen Stellen.

Überrollt von den vielen Ereignissen und hochmotiviert war im folgenden Jahr die Frage, wie wir als einzelne Akteure und im Netzwerk damit für die zukünftige Arbeit umgehen. Alle waren ständig im Dauereinsatz, ständig gefragte Akteur*innen. Offene Türen überall.

Ein erster Baustein neben der Unterschriftenaktion war die ICAN-Abgeordnetenerklärung, die ab Januar 2018 Fahrt aufnahm. Es engagierten sich viele Aktive dabei, Abgeordnete aus dem Europaparlament, dem Bundestag und den Landtagen zur Unterzeichnung zu gewinnen. Am 19. Juli 2018 waren es bereits 167 in allen Bundesländern! In den Jahren später wurden es bis zu 650 – durch ständige Ansprache, Vorträge in Fraktionen usw. Auf diese Weise gelang es, nach Bremen (Dezember 2017) auch Rheinland-Pfalz, Berlin und Hamburg zu Landesbeschlüssen zum Atomwaffenverbot zu motivieren. Bislang.

Nach einer erneuten gemeinsamen Aktion des Trägerkreis, ICAN D und der IPPNW mit einer großen Zeitungsanzeige berieten sich alle Beteiligten mehrere Stunden im November 2018 in Hannover. Um uns besser kennenzulernen und daraus noch eine zielsicherere gemeinsame Arbeit (Strategie, Struktur) entstehen zu lassen. Die eigentliche Geburtsstunde der deutschen ICAN Partner.

In dieser Phase entstand bei ICAN weltweit die Idee, auch die Städte zu einem ähnlichen Engagement wie Abgeordnete zu motivieren. Es entstand der Städteappell. Denn, by the way: auch die Mayors for Peace sind ICAN Partner.

Der Trägerkreis hatte bereits zu einer Aktionskonferenz im Februar 2019 ins Mainzer Rathaus eingeladen. Im Januar gelang es uns, Oberbürgermeister Michael Ebeling aktiv in die Konferenz einzubinden. Vor laufenden Kameras unterzeichnete er als erstes Stadtoberhaupt den Städteappell.

Mainz unterzeichnet als erste Stadt den ICAN-Städteappell.

Es folgte eine Welle vieler Beschlüsse. Zu Beginn fast täglich, später wöchentlich kamen neue Unterstützungen dazu. Bis heute sind fast 150 Städte und Landkreise dabei, darunter alle Landeshauptstädte! Was eine Menge Koordinationsarbeit nach sich zog – Tabellen bearbeiten, Homepage bespielen. Noch mehr als bei den Abgeordneten.

Mit all dem Schwung im Rücken kam es im November 2019 zum ersten Treffen aller – mittlerweile stark gewachsenen – deutschen ICAN-Partner im Rathaus Hannover.

Das erste ICAN Partnertreffen 2019 in Hannover.

Lose, aber zielstrebig kamen die Partner immer wieder zusammen, so u.a. zum Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags im Januar 2021 vor dem Bundeskanzleramt.

In Vorbereitung auf die erste Staatenkonferenz zum Verbotsvertrag 2022 in Wien gab es mehrere Abstimmungsprozesse für die verschiedenen Delegationen der ICAN Partner. Seitdem gibt es regelmäßige Online-Treffen (ca. 6 Mal jährlich) zur Berichterstattung und Abstimmung einer stetig wachsenden Community.

Ohne diesen Zusammenhalt und die inspirierenden Anfänge des Trägerkreises, ICAN D und der IPPNW, wäre das WIR Gefühl nicht so vorhanden. Denn WIR können und wollen es erreichen, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt.

Roland Blach ist seit 1995 hauptamtlich in der Friedensbewegung aktiv, arbeitet aktuell für die Friedenswerkstatt Mutlangen und den Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen“. Er ist seit vielen Jahren aktives Mitglied von ICAN Deutschland und war dabei schon oft als Moderator bei Mitgliederversammlungen tätig.

 

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