Hinter den Schlagzeilen

von Felix Werdermann

Wie können zivilgesellschaftliche Organisationen wie ICAN die Politik beeinflussen? Leider zählt nicht immer das beste Argument, oft geht es um den Druck der Öffentlichkeit. In der Meinungsbildung spielen die (Massen-)Medien eine große Rolle, daher betreiben viele NGOs Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – auch ICAN. Aber was genau passiert da hinter den Kulissen? Was entscheidet letztlich, ob über ein Thema berichtet wird oder nicht?

Generell mögen Journalist*innen kontroverse Themen. Sie können dann verschiedene Sichtweisen darstellen, das macht es für die Leserin interessant. Trotzdem kommen nicht alle Stimmen in gleichem Maße vor. Die Aussagen von Regierungsvertreter*innen werden in der Regel als wichtiger erachtet, schließlich entscheiden am Ende Regierungen, sie haben direkten Einfluss auf die zukünftigen Entwicklungen.

Allein diese Tatsache macht es NGOs wie ICAN schwer, in den Medien Gehör zu finden. In der internationalen Politik ist es aber noch schwieriger, hier kommt die Zivilgesellschaft in der Berichterstattung praktisch gar nicht vor. Stattdessen dominiert das Bild von verschiedenen Staaten, die unterschiedliche Interessen haben. Schon Meinungsdifferenzen innerhalb einer Regierung werden nur selten beleuchtet, von anderen Akteuren ganz zu schweigen. Keine guten Voraussetzungen für die Öffentlichkeitsarbeit von ICAN.

Auch das Atomwaffen-Thema ist für Journalist*innen nicht gerade „sexy“, die permanente Bedrohung ist sehr abstrakt und somit schwer in Worte oder Bilder zu fassen. Es gibt kaum Reporter*innen, die regelmäßig über das Thema schreiben und auch mal berichten, wenn nicht gerade eine Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag stattfindet, bei der wieder mal nichts Bedeutendes beschlossen wird.

Bevor ich bei ICAN aktiv geworden bin, habe ich als Journalist gearbeitet – und selbst mitbekommen, wie schwierig es sein kann, das Thema in der Zeitung unterzubringen. Insbesondere der Verbotsvertrag wurde kritisch beäugt: Ist der überhaupt relevant, wenn die Atommächte nicht mitmachen?

Felix Werdermann schreibt in „der Freitag“ über Atomwaffen

Hinzu kommt, dass viele Journalist*innen die Informationen über internationale Politik oft von der „eigenen“ Regierung erhalten, mit entsprechender politischen Färbung. So gibt es Presse-Briefings bei internationalen Konferenzen, Hintergrundgespräche und bei inhaltlichen Fragen hilft das Bundespresseamt gerne weiter. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum der Beschluss des Atomwaffenverbotsvertrags hierzulande kaum eine Schlagzeile wert war, obwohl er von der überwältigenden Mehrzahl der Staaten getragen wurde.

Als ICAN Deutschland haben wir natürlich eine Pressemitteilung verschickt und Journalist*innen darauf aufmerksam gemacht, aber in vielen Redaktionen spielte das Ereignis keine große Rolle. Der Beschluss war für sie irgendeine Entscheidung, die bei den Vereinten Nationen in New York getroffen wird und keine unmittelbare Bedeutung hat.

ICAN-Pressemitteilung zum Beschluss des Atomwaffenverbotsvertrags

Als ehemaliger Journalist weiß ich, wie nervig schlecht verfasste Pressemitteilungen sein können, die womöglich auch noch Tage zu spät verschickt werden. Als ICAN Deutschland haben wir uns bemüht, aktuell die wichtigsten Informationen kurz und knapp und dazu leicht verständlich zu liefern. Als ehemaliger Journalist weiß ich aber auch: Eine Pressemitteilung kann noch so gut sein – wenn das Thema nicht zieht, landet sie im Müll.

Und so kann die Pressearbeit schon etwas frustrierend sein. Mit viel Mühe werden gute Pressemitteilungen verschickt und oft verhallen sie einfach. Es bringt aber auch nichts, auf die Journalist*innen wütend zu sein – das überzeugt auch niemanden. Und wenn es mal gelingt, einen Gastbeitrag in einer Zeitung unterzubringen, dann ist das vielleicht viel zu wenig, aber doch mehr als wenn es die Pressearbeit von ICAN nicht gäbe. Und bei so einem wichtigen Thema ist es die Mühe wert.

Ein nicht zu vernachlässigender Nebeneffekt ist, dass Pressemitteilungen hervorragend als Texte auf der Website verwendet werden können, die man auf Social Media und im Newsletter verlinken kann. So kann man immerhin die interessierte Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen und Einschätzungen auf dem Laufenden halten.

Im Großen und Ganzen war die Öffentlichkeitsarbeit von ICAN Deutschland relativ unspektakulär – bis zum Friedensnobelpreis. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Unsere Pressehandys klingelten ununterbrochen, die eilig einberufene Pressekonferenz haben wir live gestreamt. Als es zwei Minuten nach Beginn immer noch technische Probleme mit der Übertragung gab, kam schon der erste empörte Anruf von der Deutschen Presse-Agentur.

ICAN in der Tagesschau

Der Nobelpreis für ICAN war die Top-Meldung in zahlreichen Nachrichtensendungen, wir haben zig Interviews gegeben, wurden von einem großen Fernsehsender ins Studio eingeladen. Jetzt war auch das ZDF froh, einige Zeit vorher bei einer kleinen ICAN-Aktion vor der nordkoreanischen Botschaft mit einem Kamerateam dabei gewesen zu sein: Die Bilder wurden immer wieder gezeigt, schließlich gab es keine anderen aus der Vergangenheit.

Der Nobelpreis verhalf uns aber auch über den Tag der Bekanntgabe hinaus zu mehr Aufmerksamkeit der Medien. Wir konnten Gastbeiträge, Interviews und Exklusivmeldungen in Zeitungen unterbringen, zu unserer Menschenkette zwischen den Botschaften von Nordkorea und den USA kamen zahlreiche Fernsehteams und Fotografen. Und in unseren Pressemitteilungen stand natürlich immer ganz am Anfang, dass sich die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation zu Wort meldet.

Der Preis war wie ein Ritterschlag: statt eines unbedeutenden kleinen Vereins waren wir plötzlich die deutsche Sektion einer international bekannten und geschätzten Kampagne.

ICAN-Aktion auf der Titelseite der Frankfurter Rundschau

In den Folgejahren ist das Medieninteresse erwartungsgemäß wieder etwas zurückgegangen. Was meistens ganz gut geklappt hat, waren die Protestaktionen mit großen Politikermasken, die wir zusammen mit anderen Organisationen wie der IPPNW und der Deutschen Friedensgesellschaft in zahlreichen Variationen aufgeführt haben. Der nachgespielte Streit zwischen Donald Trump und Wladimir Putin hat es sogar auf die Titelseite der „Frankfurter Rundschau“ geschafft.

Die Bilder locken immer wieder die Fotojournalist*innen an, offenbar freuen sie sich über ein wenig Abwechslung zu den immer gleichen Fotos der Politiker*innen. Zudem können unsere kleinen Theater-Einlagen die Situation genau auf den Punkt bringen, denn sie zeigen die verantwortlichen Politiker*innen und die Atomwaffen. Das gibt es nur bei uns.

Protest-Aktion gegen die Beschaffung von F35-Kampfjets

Mit diesen Fotoaktionen lassen sich natürlich nur begrenzt Inhalte transportieren. Daher schreibt ICAN auch weiter fleißig Pressemitteilungen. Vielleicht setzt sich dann auch irgendwann in den Redaktionen die Erkenntnis durch, wie wichtig das Atomwaffen-Thema ist. Ein Thema, das Auswirkungen von gigantischem Ausmaß hat, die mit dem menschlichen Verstand kaum zu begreifen sind.

Felix Werdermann ist langjähriges Mitglied von ICAN Deutschland.

 

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